Die Begegnung mit der Göttin Persephone

Das Jahr 2023 wurde eingeläutet und häufig wurde der Planet Pluto nachdrücklich erwähnt, der nach langem Verweilen im Zeichen des Steinbocks am 23.03.2023 das erste Mal für kurze Zeit in das Zeichen des Wassermanns eintauchte. Meine Neugierde war entfacht und so begab ich mich auf eine kleine Reise in Sachen kalter Himmelskörper. Schnell landete ich bei meiner Recherche von den Gestirnen im Land der römischen und griechischen Götter.

Vorgeschichte
Pluto und Hades sind in der römischen und griechischen Mythologie die Götter der Unterwelt. Sowohl den römischen wie den griechischen Herrscher der Unterwelt erfüllte ein und dasselbe große Verlangen: der römische Pluto, ein Bruder von Zeus, begehrte Proserpina, und der griechische Hades bat Zeus um Vermittlung für ein Gespräch mit Persephones Mutter, da er ihre Tochter zu ehelichen plante. Zeus hatte kein Bedürfnis sich in all diese Belange einzumischen, zumal er wusste, dass Demeter ihre Tochter nicht freiwillig dem Gott der Unterwelt zur Ehelichung überlassen würde. So zuckte Zeus mit den Schultern und gab seinem Bruder zu verstehen, dass dieser die Macht habe, sich Persephone auch ohne Demeters Einverständnis zu bemächtigen. Soviel sei hier zur der weitläufig bekannten Vorgeschichte erwähnt, die sich in ihrer ursprünglichen Form durch den sozialen Zeitenwandel essentiell veränderte.

Persephone
Persephone, eine Tochter von Zeus und Demeter, ist eine wichtige Göttin in der griechischen Mythologie. Die frühesten Mysterienkulte Griechenlands feierten das Wiedererwachen der Natur in  Persephones Rückkehr in die Oberwelt. Die Mysterien der alten Zivilisationen, deren Praktiken bis auf das Jahr 1500 v. Chr. zurückgehen, wurden um drei zentrale Zeremonien herum aufgebaut: Abstieg und Untergang, Opfer und Fasten und Wandlung in der Rückkehr von Licht und neuem Leben. Von Ägypten, wo Verbindungen zu den Göttinnen Isis und Gaia zu finden sind, kam der alte Kult der Fruchtbarkeitsverehrung über Kreta nach Griechenland. Die heilige Geschichte von Mutter und Tochter existierte lange vor dem jüdisch-christlichen Glauben an einen göttlichen Vater und einen göttlichen Sohn.

Demeters Tochter, Persephone oder Kore, ist die Korn-Jungfrau, die das neue Erblühen der kommenden Ernte verkörpert. Jeden Herbst hielten ausschließlich die Frauen des frühen Griechenlands ein dreitägiges, landwirtschaftliches Fruchtbarkeitsritual ab. Der Kult fand später seinen Weg über Sizilien nach Rom, wo Demeter und Persephone als Ceres und Proserpina verehrt wurden.
Persephone ist in ihrer ersten Entwicklungsstufe als Kore bekannt und verkörpert die jugendliche, lebhafte und bezaubernde Göttin des Frühlings. Ihre Mutter Demeter liebte und beschützte sie, bis Hades, ihr Onkel und Herrscher der Unterwelt, sie eines Tages entführte und in sein Reich brachte. An dieser Stelle ist es erwähnenswert, dass im ursprünglichen Kult von Demeter und ihrer Tochter sowie in den Traditionen, die ihrer Mythologie vorausgingen, keinerlei Anspielung auf Vergewaltigung oder Entführung zu finden sind. Erst die später eingeführte olympische Version des Mythos enthielt dieses Element. Die homerische Hymne an Demeter, eine Geschichte aus dem siebten Jahrhundert v. Chr., erzählt die weithin bekannte Erzählung von Persephones Entführung in die Unterwelt und ihrer anschließenden unfreiwilligen Vereinigung mit Hades.
Obwohl Persephones Darstellung als Entführungs- Vergewaltigungsopfer eine vorherrschende Interpretation in ihrem Wandlungsprozess ist, wird angenommen, dass sie nach einem Wechsel von der matrifokalen zur patriarchal geordneten Gesellschaftsform als gängige Interpretation in die traditionelle Mythologie aufgenommen wurde. Diese Änderung war nicht Teil der ursprünglichen Geschichte, wie historische Aufzeichnungen belegen.

Wie ging nun die Geschichte weiter? Eines Tages entstieg Persephones Onkel Hades einer Erdspalte und entführte die friedlich auf einer Wiese spielendende und Blumen pflückende Maid in die Unterwelt. Es soll, wie bereits erwähnt, zu Gewalt und Vergewaltigung gekommen sein. Ohne großem Ritual oder einer entsprechenden Feier landete Persephone als Göttin der Unterwelt auf dem Thron der Toten und umherirrenden Seelen. Demeter war so traurig über den Verlust ihrer Tochter, dass sie für einen langen Zeitraum die Erde verdorren und keine Früchte mehr wachsen ließ. Letzten Endes wurde Zeus, der König der Götter, eingeschaltet und nach zähem Ringen und Hin und Her wurde ein Kompromiss gefunden. Hades gab Persephone nur widerwillig frei, aber bevor sie ging, gab das Schlitzohr ihr die Frucht der Toten, nämlich Granatapfelkerne zu essen. Da Persephone diese gegessen hatte, war es ihr auferlegt, fortan jedes Jahr für einige Monate in die Unterwelt zurückkehren, was die Zeit der Wintermonate und den Rückzug der Natur ins Erinnere symbolisiert. Wenn Persephone wieder zurück auf die Erde kam, begann wieder der Frühling und die Natur erblühte erneut. Soviel zu der allgemein bekannten Version.

 

Die weitaus weniger bekannte Variante dieser Erzählung geht auf die Inhalte zurück, die noch vor der sozialen Wandlung von matrilinearen zu patriarchalen Strukturen in dem Mythos zu finden sind. Es wird eine glückliche und unbeschwerte Zeit für Mutter und Tochter beschrieben, das Korn wächst jedes Jahr vom Zauber Demeters umhüllt, die Samen erwachsen genährt aus der Unterwelt. Dies war eine beseelte Zweisamkeit, bis Persephone die Existenz umherirrender Seelen wahrzunehmen beginnt. Da trifft Persephone von sich aus die Entscheidung, ihre Reise in die Welt der Toten anzutreten, um ihnen Hilfe, Segnung und Erlösung zu bringen. In dieser Variante der Erzählung wird Persephone als eigenständig handelnd dargestellt. Sie trifft ihre Entscheidungen in Übereinstimmung mit ihrem Herzen.

Demeter wollte ihre Tochter nicht in das Reich der Toten ziehen lassen, konnte sich aber am Ende der Entscheidung (Abnabelungsschritt) der Tochter nicht entgegenstellen. Nach geraumer Zeit im Dienste der Unterwelt kehre Persephone zurück auf die Erde. Ihre Rückkehr wurde durch das Sprießen und Erblühen von Frühlingsblumen zu Füßen Demeters angekündigt. Ihrem inneren Ruf folgend kehrte Persephone nach der jährlichen Getreideernte wieder ins Reich der Toten zurück, um weiter den Seelen im Totenreich zu dienen.

Die Eleusinischen Mysterien, eine zentrale religiöse Tradition, deren Wurzeln bis in die mykenische Zeit (ca. 1400-1200 v. Chr.) zurückreichen, drehten sich um Persephone und ihre Mutter Demeter. Ähnlich dem Mythos von Inanna-Ereshkigal in der sumerischen Kultur, bedeutet das Durchqueren der Unterwelt Wandlung und Transformation des individuellen Lebens im zyklischen Takt der Natur. Ein stetes und ewiges Kommen und Gehen, Sterben und Geborenwerden im Rad des Lebens. Symbolisch gilt dies auch für Menschen, die lebensverändernden Übergänge, Krankheiten, intensives Leiden oder Verlust erleben und das Tor zur Unterwelt auf Grund ihrer Erfahrungen auf ihre individuelle Art durchschreiten. Im antiken Griechenland wurden Gottheiten häufig mit mehreren Identitäten in Verbindung gebracht. Dies zeigt sich in der Göttin Persephone, Demeter und Hekate (das ältere Ich von Demeter). Es wird angenommen, dass die drei Gesichter und seelischen Entwicklungsstufen dieser Göttin als eine Einheit verehrt wurden.

Meine Neugierde, etwas mehr über den Planeten Pluto herauszufinden, war der ursprüngliche Auslöser dafür, dass ich letzten Endes wieder einmal bei den alten Mythen gelandet bin. Doch wofür Pluto im astrologischen Kontext steht, mag hier zum Abschluss noch erwähnt sein. Die Transformation, die wir durch eine Reise in die Unterwelt erfahren, kann sich konkret auf unser Ableben beziehen oder aber auf seelische Wandlungen, die wir erleben, wenn tiefe Schatten in unser Leben treten, bzw. das Schicksal uns auf seine Art zur Begegnung mit dem Reich der Schatten zwingt. So ist es nicht von ungefähr, dass der Planet Pluto Transformation und die Kraft der tiefsten Wandlung verkörpert und Urkräfte jenseits aller moralischen Wertungen in sich trägt. Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass er als Planet genau für die Macht jener Transformationen steht, die wir als Menschen unausweichlich durch Krisen und dem Auflösen von seelischen Verstrickungen erfahren. So finden wir in dem Sterben alter Strukturen die Heilkräfte, die tief in unserer Seele schlummern und die uns ein Stück weit mehr auf Augenhöhe mit unsrer Wahrheit bringen.

Weiterführende Lektüre: “Die verlorene Göttin”, Birgit Weidmann, “Lost Goddesses of Early Greece”, Charlene Spretnak, “Inanna – Gilgamesch – Isis – Rhea”, Heide Göttner-Abendroth